R-na kommt...!
Endlich bin ich dazu gekommen, das alte Mädchen aus seinem verlängerten Winterschlaf in der Tiefgarage zu befreien. Unsere Beziehung dauert nun schon seit 12 Jahren an und sie hatte vor allem zu Beginn so ihre Höhen und Tiefen. Man soll ja an so einer Beziehungskiste stets arbeiten - aber inzwischen sind wir so aufeinander eingestellt, daß wir unsere Macken kennen.
Also ich vor allem ihre.
Als wir uns kennenlernten, war ich Anfang 30 und sie gerade süße 25 geworden. Zugegebenermaßen, sie sah schon immer etwas älter aus. Viele die sie sehen, schätzen sie locker auf 50, vergessen aber nicht im selben Atemzug zu erwähnen daß sie noch blendend aussähe für ihr Alter. Der unbedarfte Betrachter verwechselt sie gerne mit ihrer erstgeborenen Schwester, die schon 1964 zur Welt kam.
Ich fand sie über ein Inserat im Internet. Sie lebte damals noch in einem kleinen Ort in der Nähe von Trier. Es war ein Blind Date, aber ich nahm sie sofort mit nach Hause. Die erste Zeit lief es nicht so toll. Sie rauchte und roch nach billigem Fuselsprit, war zickig und divenhaft. Bei unserem ersten Ausflug nebelte sie erst das halbe Viertel ein und weigerte sich irgendwann einfach, auch nur noch einen Meter weiterzulaufen.
Ich vertraute meine Probleme mit der kapriziösen gebürtigen Münchnerin ein paar im Internet neu gewonnenen Bekannten an. Viele kannten meine Lage nur zu gut, lebten sie doch seit Jahren teilweise mit mehreren der strammen Bayerinnen zusammen und so bekam ich eine Menge gute Tipps (und internetüblich eine doppelt so große Menge blanken Unsinn) zu hören. Das half uns weiter.
Ich begann also mit der Beziehungsarbeit und siehe da, bald zeigten sich erste Erfolge: Nachdem wir gemeinsam mal ganz tief in uns gegangen waren, sprang plötzlich wieder ein kräftiger Funke über und wir gewannen neuen Schwung. Auch das Rauchen hat sie aufgegeben, seit ich ihre Drinks nur noch mit dem guten Stihlöl mixe. Nach gut zwei Jahren Sturm und Drang waren wir unversehens zu einem guten Team zusammengewachsen. Und so ist es bis heute, 12 Jahre sind wie im Fluge vergangen. Ich lasse sie das Winterhalbjahr in der Tiefgarage in Ruhe schlafen und sie begrüßt mich stets beim ersten Wiedersehen mit kräftiger Stimme.
Ich liebe dieses alte Mädchen. Ihre Formen sind immernoch sexy und sie besteht nicht zum großen Teil aus Plastik wie die jungen Dinger, die inzwischen wieder allenthalben billig zu haben sind. Zwischen denen sieht sie aus wie Audrey Hepburn im weißen Kleid zwischen lauter bunt gewandeten Arschgeweihträgerinnen. So eine ist sie nicht. Die mit ihren dünnen Stimmchen. Sie summt nicht nur, sie singt die ganze Tonleiter rauf und runter und manchmal meckert sie auch. Sie ist nicht zu überhören.
Genug der Schwärmerei. Ich schreibe hier natürlich über meinen Zündapproller, dem wir ganz besonders in der zickigen Erstphase nach dem Kauf den Namen R-na gegeben haben, denn es ist eine Zündapp R50. Dieses Modell wurde in gewissen Variationen von 1964 bis zum bitteren Ende von Zündapp im Jahre 1984 gebaut, karosseriemäßig unverändert. Der Motor sitzt anders als bei der Vespa in der Schwinge vor dem HInterrad und nicht daneben, die eingebaute permanente Schräglage des italienischen Kultrollers ist ihr daher fremd und sie hat eine ordentliche Straßenlage für ein Gerät mit Schubkarrenrädern.
Natürlich ist das Temperament (obschon vorhanden!) eher begrenzt. 2,9 PS reißen in Verbindung mit Ganzmetallausführung keine Löcher in den Asphalt. Andererseits hat sie drei handgeschaltete Gänge, die gekonnt bedient durchaus flottes Vorankommen ermöglichen - im Rahmen der gesetzten Grenzen. Die 8 PS, mit denen chinesische Joghurtbecherroller aus dem Baumarkt auf dem Papier prunken, landen bekanntermaßen zu 5/8 in der standardmäßigen Automatik...
Der Kenner aber versteht es, die per Seilzug arbeitende Handschaltung der Zündapp flott und doch mit ruhiger Hand zu bedienen. Zumindest tut er gut daran, denn andernfalls (oder wenn der etwas schräg ausgeknobelte Mechanismus aus Schaltrohr mit Nocken, Seilzug und Federkraft nicht mehr so ganz taufrisch ist) kann es unschöne Rucke im Antriebsstrang geben, was aus den bewundernden Blicken der Zuschauer schnell mitleidsvolle macht.
Ja, tatsächlich sind die Reaktionen des Publikums komplett positiv. Ist man mit dem Blechroller unterwegs, sind hochgestreckte Daumen ein nicht seltener Anblick.
Immerhin ist sie inzwischen auch zuverlässig. Das war zu Anfang nicht so, ich erwähnte es bereits. Aber ein neuer Vergaser, eine kontaktlose Zündung und eine Motorrevision ließen sie wieder zu alter Form finden. Wobei "Motorrevision" erheblich spektakulärer klingt als es wirklich war: Motor ausbauen, in ein handelsübliches Packset XL packen (nicht mal der Briefträger hat geglaubt, daß da mein Rollermotor drin ist) und zum Spezialisten meines Vertrauens geschickt. 14 Tage später ist er in komplett aufgearbeiteten Zustand wieder da. Der Preis ist mehr als fair, die getane Arbeit solide. Und seitdem läufts. Selbst nach dem Winterschlaf springt sie spätestens nach dem dritten Tritt auf den Kickstarter an.
Die R-na ist mein kleiner persönlicher Oldtimer. Ich kann sie mir leisten, anders als die inzwischen komplett und endgültig zum Garagengold mit brutaler Rendite verkommenen Old- und Youngtimer-Autos, die allen Beteuerungen, sie seien nach wie vor ein Jedermann-Hobby zum Trotz inzwischen in für nicht geschäftsführende Personen unerschwingliche Preisregionen geklettert sind. Obwohl: Auch die wackeren Zündapps sind vom Kultfaktor nicht verschont geblieben und würde ich sie heute verkaufen, bekäme ich wohl etwas mehr als meine damalige Gesamtinvestition heraus.
Nur: Ich würde sie niemals verkaufen, meine R-na.
Nachtrag 2.Juli 2015: Gestern hat sie auf einem abendlichen Ausflug einen halben Schnürsenkel inhaliert. Ich schnurrte mit ihr so dahin, durch die immer noch pipiwarme Luft der städtischen Straßen, die Füße in meinen alten niedrigen Chuck-Surrogatschuhen locker auf den Trittbrettern... plötzlich ein schneller Ruck am linken Fuß, ein kurzes Schwurbeln und Rattern hinter der linken Blechbacke. Ich fuhr rechts ran, umgeben von riesigen schwirrenden Fragezeichen. Oje, das klang sehr merkwürdig...
R-na pöttelte aber schon wieder ganz entspannt im Leerlauf. Tatsächlich hatte sich mein Schnürsenkel geöffnet, eines der Enden war durch den Spalt zwischen Verkleidung und Trittbrett wie ein Spaghetti vom Gebläserad eingeschlürft und quer durchgepustet worden. Gut 20cm fehlten am linken Schuh. Danach aber normaler Ruhepuls, zumindest beim Roller. Vorsichtiges Heimfahren (nur noch 250 Meter, gottseidank...) ergab keine spürbaren Unregelmäßigkeiten. Ich werde aber die Luftleitverkleidung nochmal runtermachen und nach Resten suchen... Noch'n Nachtrag, drei Tage später: Keine Schnürsenkelreste zu finden, dafür hatte es das Lüfterrad in seine zwei Einzelteile (Lüfterrad selbst und daruf sitzender Abschlußring) zerlegt. Das ließ sich aber einfach reparieren. Bei der Gelegenheit gabs auch neue Bremsbacken vorne und hinten, nachdem die letzten Bremsmanöver eher das Gefühl eines A380 auf regennasser Landebahn aufkommen ließen.... waren ganz schön runter. Jetzt kann man mit einem beherzten Tritt aufs Pedal wieder Bremsspuren in den heißen Asphalt brennen... oder so ähnlich....