Von Erfurt fort ins Licht hinein nach Lichtenhain
Thüringer Triple, Teil 3
Die Landeshauptstadt Thüringens ist (nicht nur) an einem sonnigen Spätsommertag einen Besuch wert.
Mächtig thronen der Dom und die Severikirche über dem Domplatz, auf dem gerade freundliche Händler aus dem mittleren Osten im fernen Osten produzierte Kleidung anbieten, die von Schnitt und Farbwahl nicht nur dem Rentner im Osten zu gefallen versucht, sondern auch im Westen ähnlich angeboten wird, was sicher auch daran liegt, daß man ja auch im Osten gerne Westen trägt.
Die alten Häuser besonders rund um die Köhlerbrücke sind sehr sehenswert und die Boheme-Läden in der Altstadt teilweise erfrischend skurril. Man fühlt sich ganz wohl, wenn man neben dem Sandmännchen auf der Brücke über die Gera Platz nimmt und den Blick über das blumengeschmückte Fachwerk der Brückenhäuser wandern lässt – so manche Überraschung tut sich auf, wie der versteckte, lebensgroße Eulenspiegel hoch oben zwischen den Geranien. (Über der Gera selbstverständlich Gera-nien).
Unser Ziel liegt aber weiter weg, eine gute Stunde zu fahren, an Ilmenau vorbei in die Täler hinein bis man schließlich im Schwarzatal landet, wo rote „Walfische“ der Baureihe 641 immer mal wieder zu sehen sind, die unermüdlich über die Strecke im Tal brummen. Sie tragen die Aufschrift „Oberweißbacher Berg- und Schwarzatalbahn“ und damit ist auch schon klar, wohin die Reise führt.
Am Bahnhof Obstfelderschmiede thront über der Strecke gerade der auf die Güterbühne der Standseilbahn nach Lichtenhain aufgesetzte Personenwagen und streckt seine rot-cremeweiße Nase in das Licht des Nachmittages, das um diese Zeit den Talboden noch erreicht.
Knapp bemessen ist die Zeit, wie immer. Aber die verschmitzte Zugbegleiterin in der Talstation lässt keine Ausnahme gelten: Fahren! Hoch und wieder runter, eine Dreiviertelstunde, das lohnt schon die 9,90 Euro! Hätte man einen ganzen Tag mitgebracht, dürfte man für diesen sozialverträglichen Preis gar einen ganzen Tag sämtliche Bahnen des DB-Subunternehmens „Oberweißbacher Berg- und Schwarzatalbahn“ benutzen, so oft man Laune hat. Ein prima Preis-Leistungsverhältnis.
Wenige Minuten später geht es dann steil bergauf mit uns. Durch den Trick mit der keilförmigen Güterbühne ist der Aufsetzwagen ein ganz normaler, ehemaliger Triebwagen-Beiwagen und die Reise fühlt sich seltsam anders an als auf anderen Standseilbahnen (oder dem Personenwagen am anderen Ende des Seils), die ja durch ihre gestufte Bauart immer der Steigung nachlaufen, während der Wagen auf der Bühne immer waagerecht ist, mit zunehmendem Abstand vom Boden in Talrichtung. Und weil hier alles ein bißchen anders ist, gibt es links und rechts der Bergbahntrasse witzige, skurrile und bedeutsame Skulpturen zu sehen, größtenteils aus Holz, abgewechselt mit Bänken, auf die sich wohlig warmgewanderte wohlfühlambientefördernd wechselnde Senioren winkend platzieren.
Dazu gibt’s launige bis hochinformative Infos von der Zugbegleiterin, die eine qualitative Bandbreite von „Schenkelklopfer“ bis „Historisch hochwertige Information“ besitzen, aber in jedem Fall mit viel Freude vorgetragen werden, da schaut auch der verwöhnte Thüringentourist gnädig darüber hinweg, daß das Repertoire streckenweise etwas auswendig wirkt – es kommt eindeutig von Herzen und diese Tatsache adelt es.
Oben – 12 Minuten bis zur Rückfahrt, mahnt uns die Dame des Hauses – befindet sich der Bahnhof „Lichtenhain an der Bergbahn“. Nein, das hier ist keine simple Bergstation, denn auf einem seitlich liegenden Gleis schnurrt in diesem Moment eine elektrische Triebwagengarnitur ein, mit einem aus Berlin bekannten DDR-Triebwagengesicht, glänzend wie kaum ein Bahnfahrzeug, das ich in den letzten Jahren gesehen habe.
Das ist auch der Grund, warum hier alles ein bißchen anders ist: Diese Leute lieben ihre Bahn, egal ob unten im Tal, oben auf der Hochebene wo der modellbahnmäßige Triebwagenzug bald seine Reise nach Cursdorf antreten wird, aber auch dazwischen auf dem steilen Anstieg zwischen Schwarzatal und Lichtenhain. Sie lieben sie so sehr, daß sie damals, 1999, als die DBAG keine Lust mehr hatte auf diese wenig prestigeträchtigen (aber regional wichtigen) Strecken in der thüringischen Diaspora nicht eher Ruhe gaben, bis sie ihre eigene Bahntochter bekamen und die Strecke bis Katzhütte wieder in Ordnung gebracht war.
Leider fehlt uns die Muße, mit dem Triebwagen in das namensgebende Oberweißbach (es ist erst der nächste Ort) und darüber hinaus zu fahren. Aber schon 12 Minuten am Bahnhof Lichtenhain lassen Pläne sprudeln: Das nächste Mal Anreise mit dem Wal im Tal, dann Bergbahn, hier oben schön Thüringer Spezialitäten auf der Sonnenterrasse der Reisezugwagen-Gastwirtschaft gegenüber des Bahnhofes verdrücken und dann bis nach Cursdorf, vielleicht ein paar Olitäten kaufen. Irgendwann retour, vielleicht mit einem Abstecher in die auf interessante Weise abenteuerlich wirkende Feldbahnsammlung mit der blauen Köf am Eingang...
Leider sind 12 Minuten keine wirklich lange Zeit und nach weiteren 15 Minuten (in denen die wackere Zugbegleiterin ihren launigen Vortrag in fast deckungsgleicher Formulierung aber natürlich umgekehrter Sortierung einer Gruppe herzlich amüsierter Silberköpfe zu Gehör bringt) hat uns die Station Obstfelderschmiede wieder. Schon brummelt der nächste Wal heran, während wir unseren Kurs Richtung Hotel lenken, nicht ohne zuvor unsere Wiederkehr fest versprochen zu haben.