High Noon im Weinberg - oder: Jede Menge Schotter
Sommer 2006, es war schon ein paar Monate her, daß mein Chef mir erklärt hatte, daß er meine Dienste (und die einiger Kollegen) kurzfristig, aber auf lange Sicht nicht mehr benötige. Noch war nichts Neues in Aussicht und ich nutzte einen Julimorgen, um mich vom Arbeitsmarktelend etwas abzulenken, indem ich mich in den Zug nach Weinheim setzte, um von dort aus einen Tag lang nach Herzenslust mit OEG, rnv und RHB zu fahren.
Gegen Mittag befand ich mich auf dem Weg nach "Dergem", wie die Bad Dürkheimer zu ihrer Stadt zu sagen pflegen. Die RHB-Variobahn hatte irgendwann jenseits von Oggersheim das Gleis gewechselt und fuhr nun links. In der Vor-Smartphone-Zeit war ich etwas beschäftigt mit der Planung weiterer Schritte mit Hilfe eines gedruckten Fahrplans. (Gedruckt! Auf echtem Papier!) Aus diesem Grunde nahm ich auf dem anderen Gleis nur ein nicht-straßenbahnmäßiges Gerät wahr, an dem wir in einer Staubwolke vorbeiflogen. War das eine Diesellok mit zwei Schotterwagen? Der Fahrer unseres Triebwagens bestätigte mir auf Anfrage, daß es sich tatsächlich um den Schotterzug der RHB handelte, der hier damit beschäftigt war, Schotter auf der Strecke grob zu verteilen, damit die Stopfmaschine "die näxt Woch" dann die Feinarbeit erledigen könne. Am nächsten Bahnhof stieg ich aus.
Da stand ich nun, right in the middle of Pfälzisch-Nowhere, umgeben von endlosen Weinlagen. Aber da vorne, nicht so weit weg, konnte ich die kleine Diesellok ausmachen
Ich stapfte also frohgemut los, den Weg zwischen Gleis und Weinreben entlang, hatte unterwegs noch eine unheimliches Treffen mit einer hochbeinigen Weinberg-Pflegemaschine, die unvermutet und mit lautem Rattern zwischen den Rebstöcken hervorsprang, mich aber doch um ein paar Meter verfehlte.
Kaum dieser Begegnung entronnen, nun einige Minuten außerhalb der vollklimatisierten Variobahn, stellte ich fest, daß ich mir einen der heißesten Tage des Sommers für meine Expedition herausgesucht hatte. Unbarmherzig brannte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel auf Mensch, Wein und Maschinen, längst hatte das Thermometer die 30-Grad-Marke mit fliegenden Fahnen hinter sich gelassen und die Reben standen auf der falschen Seite, um mir Schatten zu spenden und sahen selbst zum Teil etwas schlapp aus, als könnte man daraus nur einen sehr trockenen Wein gewinnen. Ein müder Luftzug wirbelte lustlos etwas Staub auf. Vorbeirollende Dornenbüsche hätten mich nicht erstaunt. High Noon zwischen Oggersheim und Bad Dürkheim.
Umso erstaunlicher der freundliche Empfang an dem Zug, der aus der Gmeinder-Lok V01 der RHB und zwei OEG-Schotterwagen bestand. Auf meine Frage nach der Möglichkeit, den Zug zu fotografieren, entgegnete mir der Lokführer, ein braungebrannter, grauhaariger Südeuropäer mit sympathisch schmunzel-verrunzeltem Gesicht und einer Sprudelflasche in der Hand, daß ich so viele Fotos machen dürfe, wie ich möchte, die andere Seite sicher die Schokoladenseite seines Zügles sei und ich danach einfach mal hoch auf den Führerstand kommen möge, man sei jetzt mit Laden so gut wie fertig und ich wolle mir bei der Hitze doch sicher etwas Fahrtwind um die Nase wehen lassen.
Ich schaute den Mann an, als hätte er zwei Nasen im Gesicht. Hatte er mich gerade tatsächlich zu einer Spritztour mit der kleinen Gmeinder eingeladen??? "Na klar", grinste er, "aber natürlich auf eigene Gefahr!"
Eine Gefahr, die einzugehen ich ohne nachzudenken äußerst gerne bereit war.
Während die Schüttgutwagen mit Material von einem riesigen Schotterhaufen an der Strecke mittels Radlader gefüllt wurden, machte ich ein paar Bilder und erklomm sodann auf ein Winkzeichen des Lokführers hin das Führerhaus der Lok.
Der Motor erwachte mit ein paar Hustern, ging dann in ein stoisches Tuckern über, das auch nicht viel hektischer wurde, als der Mann auf der rechten Seite die Fuhre sanft in Fahrt brachte. Richtung Dürkheim liegt die Strecke in leichtem Gefälle, keine besondere Anstrengung für den Motor Nummer 13534.
Mit vielleicht 20km/h ratterten wir durch die endlosen Reihen des Pfalzweines, jeder in seiner Ecke des Führerstandes, die Türen offen und den Fahrtwind genießend, der immernoch eher fönähnlich anmutete, aber um Längen angenehmer war als die am Ladeplatz rumgammelnde, stehende Hitze. Wir unterhielten uns ein wenig über Gott und die Welt, Eisenbahnen, Dieselloks und Kameras. So hätte diese Reise von mir aus bis Paris weitergehen können, aber viel zu schnell hatten wir unsere Einsatzstelle erreicht. Geschmeidig bremste der Lokführer, tausendfach ausgeübte Handgriffe an den abgenutzten Hebeln und Rädern des Führerstandes.
Dann drehte er sich nach hinten um, hängte sich zu Tür heraus und gab den staubigen Gestalten, die auf den Rangiertritten der Schotterwagen mitgefahren waren, ein Zeichen. Erst jetzt nahm ich diese anderen Passagiere wahr, die sich nun mit Staubmasken ausrüsteten und mit hochgehobenen Daumen ihre Bereitschaft signalisierten.
Langsam rollte der Zug wieder los, kurz darauf öffneten die Männer auf den Wagen die Schüttklappen und mit lautem Rauschen und blechernem Klappern sowie einer rechtschaffen heftigen Staubentwicklung verteilte sich der Schotter seitlich und zwischen den Schienen.
Mit energischem Querwinken gaben die Schotterboys irgendwann zu verstehen, daß es sich nun ausgeschottert habe, der Zug hielt an und der Dieseldompteur schaltete die Fahrtrichtung um. Rückwärts schiebend, nun in der vorderen Führerhausecke lehnend und wieder nett plaudernd tuckerten wir so zurück zum Ladeplatz.
Zwar hätte ich ohne weiteres noch zwei, vielleicht auch drei Tage lang weiter diese Tour mitgemacht, aber ich wollte die Freundlichkeit der Schotterer nicht über Gebühr ausnutzen. Außerdem kam ich mir zwischen diesen hart arbeitenden, wettergegerbten Männern mit meinen sauberen Freizeitklamotten und der Kamera irgendwie fehl am Platze vor. Nein, diese Arbeiter hatten eine Aufgabe und brauchten keinen nutzlosen Begleiter. Ich verabschiedete mich, man versorgte mich noch mit Informationen über die nächsten Einsätze des Schotterzuges und lehnte lächelnd aber bestimmt den von mir zum Dank angebotenen Kaffeekassen-Obulus ab: "Nää, loss gut soi, schee wann ders gfalle hot".
Während ich mich wieder durch die hier wie ein durchsichtiger, leicht flirrender Klotz herumliegende Hitze auf den Weg zum Bahnhof machte, konnte ich noch einen regulären RHB-Zug "vorbeistauben" sehen. Nein, diese ganze Schotterei war nichts für Feingeister und Staubwedelschwinger. Niemand, der morgens schlecht gelaunt in der Tram sitzt, denkt an diese Notwendigkeiten eines Verkehrsbetriebes. Man geht ganz selbstverständlich davon aus, daß alles getan wird, um uns im Rahmen der Möglichkeiten sicher und komfortabel von A nach B zu bringen. Aber die Schotterboys haben dafür ihren Teil Staub gefressen, in der Hitze des Sommers 2006, zwischen Oggersheim und Bad Dürkheim.