Herbst im Erzgebirge
Der Herbst ist die Zeit des letzten großen Luftholens im Erzgebirge, bevor die schöne, aber auch arbeitsreiche Vorweihnachtszeit und die darauf folgende Skisaison beginnt.
Im November bis kurz vor dem ersten Advent ruht dann auch die Fichtelbergbahn und es werden allfällige Arbeiten an Strecke und Fahrzeugen vorgenommen, bevor der Winter Berg und Tal wieder in seine frostigen Finger bekommt.
Ich komme gerne ins Erzgebirge, trotz touristischer Hochsaison am liebsten zur Weihnachtszeit, weil dann irgendwie alles rund ist, die Ortschaften voller kleiner Lichter und die Pyramiden, Räuchermännchen und Engel in den Schaufenstern zeitgemäß. Aber auch der späte Oktober und frühe November haben ihren Reiz. Der erste richtige Schnee läßt noch auf sich warten und die Wälder zeigen noch einmal ihre schönsten Herbstfarben.
Noch fährt die Fichtelbergbahn und die gut gepflegte 99 772 bringt uns von Neudorf hinauf nach Oberwiesenthal. Der Mittag war noch einmal so warm, daß wir in Neudorf beim Dorfmetzger vor dem Haus in der Sonne saßen und außer dem unerwartet milden vierten Novembertag auch die ausgezeichnete, hausgemachte Erbsensuppe mit Knackern genießen konnten.
Jetzt neigt sich der Tag schon merklich, im flachen Licht des Nachmittages marschiert die Lok mit ihren grün lackierten Wagen bergan und erreicht nach 45 Minuten fahrplanmäßig den fast 900 Meter über dem Meer liegenden Bahnhof Oberwiesenthal, nachdem sie noch als letztes Highlight über den beeindruckenden Gerüstpfeilerviadukt, der das Hüttenbachtal überspannt, gerattert war.
Wenige Kilometer entfernt und ein paar Jahre später steht Anfang November die in einer einzigartigen Aktion neu erstandene IK in Jöhstadt im Lokschuppen und träumt neben ihrer Nachfahrin, einer IVK, von den bald anstehenden Winterfahrten durch das stille Preßnitztal. Auf der Strecke ist eine einsame Diesellok des Typs V10c, die 199 009, im stilechten Reichsbahnoutfit unterwegs mit einem einzelnen Wagen als Sonderzug. Wir dürfen nach vorheriger Rücksprache mit den freundlichen Museumsbahnern mitfahren, einmal Schlössel-Steinbach und retour.
Daß es die IK oben im Jöhstadter Schuppen überhaupt gibt, erscheint mir im Lande der Bedenkenträger und Bloß-nicht-Museumsbahnexperten immer noch wie ein Wunder. Diese Lokomotive beweist, daß alles möglich ist, unter der Voraussetzung, daß man es einfach macht, anstatt sich nur Gedanken um die Unmöglichkeit solch eines Vorhabens zu machen.
Aber da ist sie ja bei der Preßnitztalbahn auch richtig, die ja auch schon komplett von der Bildfläche verschwunden war und nach den Maßstäben mancher Zeitgenossen niemals wieder hätte entstehen dürfen. Jetzt kann man die unmögliche Lok über die unmögliche Strecke dampfen sehen und sich davon überzeugen, daß aus einem Traum durchaus handfeste Wirklichkeit werden kann, wenn man dem Wort „unmöglich“ nicht zu viel Bedeutung beimisst und die richtigen Leute einfach mal machen lässt.
In Hammerunterwiesenthal herrscht zu diesem Zeitpunkt noch Betriebsruhe, denn die Wartungspause zwischen Cranzahl und Oberwiesenthal dauert noch gut zwei Wochen. Keine Dampflok weit und breit, aber als Hingucker immerhin eine quietschgelbe Stopfmaschine auf einem Lkw. Keine Ahnung, ob sie ihren Dienst schon getan hat und nun abtransportiert werden soll, oder ob sie gerade erst zwecks Unterbauverbesserung der Fichtelbergbahn angekommen ist.